The Big Quit: Warum Mitarbeiterbindung jetzt wichtig ist

In Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels bei gleichzeitig hoher Wechselbereitschaft kommen Unternehmen nicht umhin, Mitarbeitende gezielt in den Fokus eines nachhaltigen Retention Management zu stellen. Erfahren Sie, wo die Ursachen liegen und wie man diesen zielgerichtet entgegenwirken kann.

Unter filmreifen Titeln wie The Great Resignation oder The Big Quit zeichnet sich in den USA in den letzten Monaten ein besorgniserregendes Bild ab: Nie zuvor haben so viele Arbeitnehmende aus freien Stücken ihre Anstellungen aufgegeben. Nach Zahlen des U.S. Bureau of Labour Statistics waren es im November 2021 insgesamt 4,5 Millionen Kündigungen. Allerdings erfolgten diese primär in Branchen, die von der Corona-Pandemie am stärksten betroffen waren, beispielsweise dem Freizeit- und Gastgewerbe, dem Einzelhandel sowie dem Gesundheitswesen. Die höchste Fluktuation zeigt sich dabei auf mittleren Karriereebenen und im Altersbereich von 30 bis 45 Jahren. Besonders brisant ist dabei, dass ein Großteil der Arbeitnehmenden sich für einen Abschied vom aktuellen Job entscheidet, ohne einen neuen in unmittelbarer Aussicht zu haben.

Kündigungswelle nur ein US-Phänomen?

Werden sich nun auch ähnliche Szenarien auf anderen Arbeitsmärkten oder auch in anderen Branchen abspielen – oder sind entsprechende Vorgänge vielleicht schon in vollem Gange? Ein Blick auf das bevölkerungsreichste Land der Welt, China, zeigt, dass es sich bei The Big Quit keineswegs um ein exklusives Problem der USA handelt. Als Tang Ping (zu Deutsch flachliegend) wird dort ein zeitlich parallel auftretendes Phänomen bezeichnet, in dem besonders junge Menschen aus Protest gegenüber der vorherrschenden Arbeitskultur die Arbeit schlichtweg verweigern und ihre Stellen aufgeben. Sie drücken damit ihre Ablehnung gegenüber dem gesellschaftlichen Druck zur Erbringung massiver Überstunden aus.

Im deutschen Arbeitsmarkt sind bislang vergleichbare Entwicklungen nicht zu beobachten. Der innereuropäische Vergleich zeigt jedoch, dass Unternehmen in Deutschland mit insgesamt 6%, über alle Branchen und Jobs hinweg, eine der höchsten Raten an Corona-bedingten Kündigungen vorzuweisen haben – und dies könnte erst die Spitze des Eisberges sein, denn laut aktuellem Gallup Engagement Index[1] wollen innerhalb eines Jahres 23% der Arbeitnehmenden in Deutschland ihren derzeitigen Job verlassen. Besonders betroffen könnten dabei Jobfamilien sein, für die das benötige Personal ohnehin schon rar und damit hart umkämpft ist, beispielsweise im IT-Sektor.

[1] https://www.gallup.com/de/engagement-index-deutschland.aspx

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Hoher Handlungsdruck bei wenig Raum für kurzfristige Lösungen

Ohne an dieser Stelle zu alarmierend erscheinen zu wollen: Auch unabhängig von der Wahrscheinlichkeit einer potenziellen Kündigungswelle im Zuge der Corona-Pandemie sehen sich Unternehmen in vielen Regionen dieser Welt und in nahezu allen Branchen und Funktionen erheblichen Herausforderungen in der Gewinnung und Bindung notwendiger Talente ausgesetzt. Dabei geht es jedoch nicht nur um die vieldiskutierten Programmierer oder Techies, sondern um Fachkräfte jeder Couleur. Grundlegende demographische Entwicklungen lassen sich nun einmal nicht mit einem Fingerschnipps wegzaubern. Sie sind nicht nur ein aktuelles Problem, sondern werden auch als schwerwiegendes Erbe die folgenden Generationen belasten.

Welche Handlungsspielräume bieten sich vor diesem Hintergrund für Unternehmen? Der naheliegende, aber längst nicht allgemein akzeptierte Schritt in diesem Fall ist der Aufbau und die konsequente Anwendung eines nachhaltigen Retention Managements. Dahinter verbirgt sich der grundsätzlichen Ansatz, Mitarbeitende möglichst effektiv an das eigene Unternehmen zu binden und so einer ungewollten Fluktuation entgegenzuwirken – hat diese doch nicht nur direkte und unmittelbare Folgen im Sinne einer fehlenden Arbeitskraft für eine bestimmte Aufgabe. Jede Kündigung verursacht auch Kosten für die Neubesetzung, sofern eine solche überhaupt kurzfristig möglich ist. Und Kündigungen hinterlassen oft – erst recht in größeren Dimensionen – Spuren bei den verbleibenden Kollegen und Kolleginnen, bei denen in der Konsequenz häufig die Arbeitslast zunimmt und sich unter Umständen eine Sogwirkung entfalten kann. Wer mag schon die Perspektive des letzten verbliebenen Einzelkämpfers hart am Burnout?

Die Schwierigkeit beim Retention Management

Im Rahmen eines gezielten Retention Management gibt es dabei verschiedene Ansatzpunkte. Im Kern haben sie gemein, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen, um sie durch deren Berücksichtigung stärker an das Unternehmen zu binden. Allerdings ist es kein leichtes Unterfangen, die bestehenden Bedürfnisse punktgenau zu erfassen. Dies liegt zum einen daran, dass sie sich nicht für alle verallgemeinern lassen, da sich Personen basierend auf den verschiedensten Faktoren – etwa Alter oder Familienstand – in ihren Bedürfnissen unterscheiden.

Damit Retention Management richtig greifen kann, muss zunächst ermittelt werden, in welchen Zielgruppen es zu erhöhter Fluktuation kommt oder aber welche Zielgruppen in Zukunft besonders gefährdet sein könnten. Im Anschluss daran können maßgeschneiderte Lösungen für diese Zielgruppen konzipiert und realisiert werden.

Auch wenn dieses Vorgehen auf den ersten Blick naheliegend erscheint, so lassen aktuelle Umfragen erkennen: Im Vergleich von Annahmen und tatsächlichen Gründen, welche Faktoren für die erhöhte Fluktuation verantwortlich sind und denen damit im Retention Management größte Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, bestehen überraschend deutliche Differenzen.

Bei Unternehmen ganz oben auf der Ursachenliste stehen die Unzufriedenheit mit Vergütung, gefolgt von vermuteten Gesundheitseinbußen aufgrund der Arbeit und der stetigen Suche nach einer besseren Anstellung. Wertschätzung sowie Zugehörigkeit werden hingegen als weniger relevant erachtet. Einzig der Faktor Work-Life Balance wird auch aus Sicht von Arbeitnehmenden als gleichermaßen relevant eingestuft.

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Zugehörigkeit, Purpose und flexible Arbeitszeitmodelle als Treiber

Für Arbeitnehmende sind es primär zwischenmenschliche Faktoren, die als besonders wichtig erachtet werden und deren Nichtberücksichtigung im Umkehrschluss am ehesten zu einem Verlassen des Unternehmens führen[1]. Zu diesen Faktoren gehört, neben dem Gefühl der Zugehörigkeit zu Unternehmen und Team, in besonderem Maße die erhaltene Wertschätzung im Kontext der Arbeit, nicht zuletzt durch direkte Vorgesetze. Keine anderen Faktoren wurden häufiger als stärkste Treiber für das freiwillige Ausscheiden von Arbeitnehmenden genannt.

Generell scheint es hinsichtlich der beschriebenen Faktoren gegenwärtig bei Arbeitnehmenden am Anfang ihrer Karriere wie auch bei solchen, die bereits Fuß in der Arbeitswelt fassen konnten, zu einem Umbruch zu kommen. Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit, Vereinbarkeit mit dem Privatleben und Wertschätzung treten in den Vordergrund. Sie werden somit auch immer häufiger in der Entscheidung über den Verbleib in einer Anstellung herangezogen.

Im Zuge der Corona-Pandemie haben zudem Remote Work sowie der damit oftmals einhergehende Freiraum in der Gestaltung von Arbeit, beispielsweise durch flexiblere Arbeitszeitmodelle, beträchtlich an Relevanz gewonnen. So geben in einer Umfrage[2] mehr als die Hälfte der Befragten an, ihrem gegenwärtigen Job den Rücken kehren zu wollen, sofern sie diesen nach der Pandemie zumindest nicht auch in Teilen von einem Ort ihrer Wahl aus erbringen können. 60% erwarten dabei, dies mindestens drei Tage pro Woche tun zu können. Diese Zahlen lassen erkennen, dass es Unternehmen, wenn überhaupt, nur mit großen Anstrengungen und personellen Verlusten gelingen wird, alle Mitarbeitenden wieder zurück in die Büros zu holen.

[1] https://www.mckinsey.com/business-functions/people-and-organizational-performance/our-insights/great-attrition-or-great-attraction-the-choice-is-yours

[2] https://www.pwc.com/us/en/library/covid-19/us-remote-work-survey.html

Fazit

In Summe machen die aufgeführten Befunde deutlich: Zwischen Arbeitnehmenden sowie Arbeitgebenden besteht eine große Kluft in der Wahrnehmung bezüglich der Faktoren, die für oder gegen den Verbleib in einem Unternehmen entscheiden. Damit der Einsatz von Retention Management jedoch zum intendierten Erfolg führt, ist es unausweichlich, die Relevanz dieser Faktoren für das eigene Unternehmen wie auch die verschiedenen Mitarbeitergruppen dort zu verstehen.

Darüber hinaus ist es zudem so wichtig wie nie zuvor, genau hinzuhören, welche Bedürfnisse innerhalb der Belegschaft bestehen. Gelingt es, diese einzufangen und sie anschließend in die Bausteine des Retention Managements zu inkorporieren, so ist einer der wichtigsten Schritte zur nachhaltigen Bindung, gerade von erfolgskritischen Mitarbeitenden, getan.

Über die Autoren:

Frank Gierschmann berät seit 2013 für die hkp/// group Konzerne und Mittelständler zu allen Aspekten des Talent- und Performance Managements. Er begann seine berufliche Laufbahn in der Konzernzentrale des weltweit größten Logistikdienstleisters. Innerhalb von 11 Jahren durchlief er hier verschiedene Experten- und Führungsfunktionen im Bereich der Führungskräfte- und Personalentwicklung, zuletzt in der Rolle als Vice President Corporate Executives Staffing. 2011 folgte der Wechsel in die Schweiz, wo er bei einem börsennotierten Logistikkonzern als Global Head of Talent Management das unternehmensweite Talent Management verantwortete und unter anderem die weltweiten Leadership-Programme für Top-Führungskräfte sowie die Identifizierung und Entwicklung von High Potentials steuerte.

David Voggeser ist seit Anfang 2011 für die hkp/// group tätig und berät Unternehmen u.a. bei der Konzeption und Implementierung von Vergütungssystemen und Funktionsbewertung. Seine Beratungsmandate reichen dabei von der Unterstützung von Start-ups bis hin zu globalen, langfristigen Projekten z. B. im Rahmen von IPO-Umsetzungen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in den Bereichen Mitarbeiterbeteiligung, externe Vergütungsvergleiche sowie Dienstwagenrichtlinien. David Voggeser ist ein gefragter Referent auf Fachveranstaltungen und Autor zahlreicher Studien, u.a. des Global Equity Insight Survey, der weltweit umfassendsten Studie zum Thema aktienbasierte Vergütung und Mitarbeiterbeteiligung. Er verantwortet zudem den hkp/// group Top Management Survey.

David Bianucci studierte Psychologie (B.Sc., M.Sc.) an der Justus-Liebig-Universität Gießen
mit Schwerpunkten in der Arbeits- und Organisationspsychologie sowie der Psychologischen Diagnostik. Nach seinem Studium war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Psychologische Diagnostik an der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig. In seiner dortigen Tätigkeit entwickelte und implementierte er onlinebasierte Self-Assessments für die Universität sowie externe Kunden. David Bianucci ist zertifizierter Eignungsdiagnostiker nach DIN33430. Nach seinem Einstieg als Praktikant bei der hkp/// group ist David Bianucci seit 2022 als Consultant in unterschiedlichen Projekten zu den Themen Performance & Talent Management sowie HR Transformation im Einsatz.

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