HR Tech: Hidden Champions gestalten die Zukunft der Arbeit

Kennen Sie noch die Frage nach „dem nächsten große Ding“? Mag sie verlockend sein, führt sie doch in die Irre. Es geht heute nicht mehr um die Hervorbringung einzelner digitaler Schwergewichte. Es geht um einen vielfältigen Innovationssektor, wie ihn dieser Tage Start-ups darstellen. Sie tragen dazu bei, die Wirtschaft zukunftsfähig zu halten. Ein viel zu selten besprochenes Beispiel hierfür: HR Start-ups.

Digitale „Game Changer“ – das Beispiel FinTech

Schon heute wirken teils noch blutjunge Unternehmen als „Game Changer“. Eindrückliches Beispiel ist nicht zuletzt der Hype um digitale Finanzinnovationen und Versicherungstechnologien – kurz FinTechs und InsurTechs. Der Aufstieg des auf digitalen Zahlungsverkehr spezialisierten Unternehmens Wirecard in den DAX mit einer höheren Unternehmensbewertung als Commerzbank oder Deutsche Bank ist ein prominentes Beispiel dafür. Und das Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft. Denn auch in den Instituten bezweifelt heute niemand mehr, dass digitale Lösungen der wesentliche Treiber für den Erfolg in der Zukunft sind – ob B2B oder B2C. Entsprechend aufgeregt erscheint die Diskussion um FinTechs. Und ähnlich wie die Banken-Türme in Frankfurt wirft die Aufmerksamkeit, die ihnen entgegengebracht wird, Schatten auf Entwicklungen, die in ganz anderen Bereichen passieren.

HR Tech: Die Kreateure der Arbeitswelt von morgen

Hierfür sind die digitalen Innovationen im HR-Sektor – also HRTech – ein gutes Beispiel. Zugegebenermaßen klingt es zunächst anmaßend, Tools für Personalabteilungen mit den Entwicklungen im Banken- und Versicherungssektor zu vergleichen: Doch es besitzen nicht nur die meisten von uns ein Konto – die meisten von uns müssen auch einer Arbeit nachgehen, damit dort regelmäßig Eingänge verzeichnet werden können. Betrachtet man die potenzielle und die sich bereits heute abzeichnende Wirkungskraft der neuen Personal-Instrumente auf das Business und die Arbeitswelt, bekommt man eine leise Ahnung, wie sehr HR Start-ups eigentlich noch als die „Hidden Champions“ der Tech-Szene angesehen werden können. Denn sie treffen letztlich direkt und indirekt viel mehr Menschen als es das Kürzel HR suggeriert: nämlich alle ArbeitnehmerInnen.

Der Schlüssel zum Erfolg der Digitalisierung  im Unternehmen: HR

Dies liegt erst einmal gar nicht an den Jungunternehmen selbst, sondern an den zentralen Aufgaben von Personalverantwortlichen. Beispielhaft genannt seien hier die Gewinnung und Weiterentwicklung von Talenten, die Gestaltung von Karrierewegen, die Förderung und Optimierung einer effizienz-, performance- und werteorientierten Zusammenarbeit sowie das Angebot attraktiver Produkte, Nebenleistungen und Vergütungen. Die Personalarbeit in Unternehmen ist von Entwicklungen rund um Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Virtual Reality, Chat Bots, Big Data immer doppelt betroffen. Als „Enabler“ für die Transformation ihrer Unternehmen und für die eigenen HR Prozesse. HR ist damit ein Schlüssel für den Erfolg der Digitalisierung von Unternehmen und sollte diese Rolle als Treiber aktiv wahrnehmen. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn sich HR selbst offen zeigt gegenüber technologischen Entwicklungen und diese geschickt dazu nutzt, sich stetig weiterzuentwickeln. Und diese Weiterentwicklung hat meist auch Konsequenzen für die Mitarbeiter.

Human Capital Management Tools: Mehr als Prozessoptimierung

Vormals aufwendige Personalmanagement-Prozesse wurden durch digitale Lösungen vereinfacht, verschlankt und eröffnen neue Möglichkeiten. Die Digitalisierung betraf zunächst einzelne, traditionelle Segmente wie die Lohn- und Gehaltsabrechnung sowie Bewerbungs- und Recruiting-Prozesse. Mittlerweile verbinden Human Capital Management Tools (HCM) viele HR-Segmente. Doch sie optimieren potenziell nicht nur das prozessuale Abarbeiten, sondern schaffen auch neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit und der Employee Experience – also die Art und Weise, wie Beschäftigte ihr Unternehmen erleben.

Das Personalmanagement als erfolgskritischer Partner für das Business

Denn die Tools werden nicht nur von Personalabteilungen genutzt, sondern auch und vor allem von Mitarbeitern. Man denke nur an Feedback-Tools, die das Performance Management in den letzten Jahren wesentlich vorangebracht haben und eine lebendige Kultur des konstruktiven Miteinanders etablieren helfen. Insofern wirken HR-Innovationen nicht nur in der Personalabteilung, sondern letztlich auf alle Kolleginnen und Kollegen sowie auf die Kultur im Unternehmen. Auch das Business kann hieraus Vorteile ziehen, indem es die aus den Lösungen entspringenden Daten und Erkenntnisse nutzt, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern. Die HR-Rolle wird damit immer erfolgskritischer für das operative Geschäft und kann – digitaler Lösungen sei Dank – in agilen Teams letztlich ein noch wichtigerer Sparringspartner, Informationslieferant, Gestalter und Berater sein.

Die Big Player im Markt der HCM-Tools

Viele Unternehmen haben das Potenzial der Anwendungen für und von HR bereits entdeckt. Hierauf weisen zumindest die auch hier längst existierenden Schwergewichte der Digitalszene hin. Workday, die Software-Plattform für HR-Management und Finanzen, wurde 2005 gegründet, weist für das Fiskaljahr 2018 einen Umsatz von 2,1 Milliarden US-Dollar aus und beschäftigt 8.200 Menschen. Die HCM Cloud Software SuccessFactors wurde 2001 gegründet und kann heute – auch dank der Übernahme durch SAP – bei 93 Millionen Anwendern auf einen Umsatz von 958 Millionen Euro (2017) verweisen. Cornerstone startete 1999 als Start-up mit einem gemeinsam genutzten schnurlosen Telefon, heute macht der Cloud-Technologie-Anbieter in den Bereichen Recruiting, Weiterbildung und Mitarbeitermanagement 482 Millionen US-Dollar Umsatz (2017) und wird von 35,3 Millionen Usern in 192 Ländern verwendet.

Gute Aussichten für Start-ups und Konzerne

Einer Studie von MarketsandMarkets zufolge soll der weltweite Markt für HCM-Software von 14,5 Milliarden US-Dollar in 2017 auf 22,5 Milliarden US-Dollar in 2022 klettern. Das wäre ein jährliches Wachstum von durchschnittlich 9 Prozent. Und an diesem Kuchen wird sich auch die steigende Anzahl von HR Start-ups bedienen, die mit viel digitalem Know-how und Kreativität die Herausforderungen von HR und Mitarbeitern in Unternehmen adressieren. Dass die Jungunternehmen dabei nicht unbedingt nur mächtige Konkurrenz in den IT-Tankern sehen sollten, zeigt das kürzlich bekannt gewordene Miteinander von SAP und Tandemploy.  Der Software-Riese macht die Startup-Entwicklung, die Mitarbeitende und ihr Wissen miteinander vernetzt, nicht nur seinen über 95.000 Angestellten zugänglich, sondern lässt auch die Integration in seine Systeme für Kunden zu. Ein starkes Ausrufezeichen für die Relevanz von HR Start-ups.

Der HR Start-up Award: Mehr Aufmerksamkeit für HR-Innovationen!

Jetzt bewerben und im Juni, genauso wie HUMANOO-Gründer Philip Pogoretschnik, die Bühne des PMK2019 rocken.

Große Wahrnehmung erfahren die HR Start-ups in der Öffentlichkeit damit jedoch bislang nicht. Das zu ändern, ist ein Ziel des HR Start-up Awards, der seit 2016 jährlich im Rahmen des Personalmanagementkongresses in Berlin verliehen wird. Als Initiatoren begleiten der Bundesverband der Personalmanager (BPM), die hkp/// group, der Human Resources Manager und die Quadriga Hochschule die Entwicklungen innerhalb der HRTech-Szene in diesem Rahmen 2019 im vierten Jahr – also seit einer kleinen Ewigkeit, wenn man die Schnelligkeit der technologischen und marktspezifischen Entwicklungen zugrunde legt. In dieser Zeit haben sich Firmen mit mehr als 150 Gründerinnen und Gründer beworben, die von einer hochkarätigen Jury gründlich auf den Prüfstand gestellt wurden. Ihr gehören Repräsentanten aus Konzernen, Mittelstand und ehemaligen Start-ups sowie HR-Experten und Branchen-Kenner an. Ihr Motiv: Die Nähe und der Kontakt zu Innovationen und ihren Entwicklern sowie die hieraus entspringende Inspiration für das Geschäft.

Trendmonitor der Herausforderungen im Personalmanagement

Tatsächlich haben wir in den letzten drei Jahren durch den HR Start-up Award viele innovative neue Lösungen in den unterschiedlichsten Bereichen des HR-Managements gesehen. Aktuell rufen wir alle Gründer in HR dazu auf, sich bis zum 15. April für die vierte Auflage des Innovationspreises zu bewerben. Wir sind gespannt, welche Überraschungen dieses Mal dabei sind. Rückblickend lassen sich die Einreichungen der HR Start-ups nämlich tatsächlich als eine Art Trendmonitor aktueller und zukünftiger Herausforderungen für das Personalmanagement in Unternehmen begreifen. Startete der Preis 2016 bereits mit Bewerbungen aus so spannenden Bereichen wie Recruiting und Bewerbungsmanagement, Performancemanagement und Feedback, HR und Talent Analytics, Networking und Kommunikation, FlexWork und Workforce Planning kamen über die Jahre immer mehr Bereiche hinzu: darunter Health Management, organisationale Restrukturierung und immer mehr Angebote im Segment Learning.

Die Gewinner des HR Start-up Awards

Mit der Wahl der bisherigen Gewinner hat das Publikum des HR Start-up Awards, das nach der Auswahl der Finalisten durch die Jury die Entscheidung nach den Pitches der Kombattanten vor Ort fällt, bislang ein gutes Einschätzungsvermögen bewiesen. Und ausgerechnet einer technischen Störung bei der Abstimmung ist es zu verdanken, dass 2016 gleich alle vier Finalisten den Award entgegennehmen durften: Talents Connect für ihre Recruiting-Lösung, Staffbase als Entwickler einer Mitarbeiter-App für die vernetzte interne Kommunikation, HRForecast für ihre Anwendung im Bereich Big Data-Analytics und auch die bereits erwähnten „Vernetzer“ von Tandemploy für ihre Software, die flexible Arbeit und Kollaboration bis hin zur Aufteilung einer Stelle auf zwei Mitarbeiter ermöglicht. Rückblickend hätte es keinen besseren Start für den HR Start-up Award geben können – kann die Kür der damaligen Finalisten doch als symbolischer Akt zur Würdigung der enormen Bandbreite an Innovationen in diesem Bereich gelesen werden.

Die Sieger der Folgejahre erweiterten dieses Spektrum noch: 2017 wählte das Publikum den erfrischenden Pitch von HUMANOO-Gründer Philip Pogoretschnik auf den ersten Platz – und damit eine Plattform für betriebliche Gesundheitsförderung, die als eine Art digitaler Coach für sportliche und gesundheitsbewusste Mitarbeiter den Betriebssport neu erfindet. Letztes Jahr entschied everskill das Rennen für sich, indem Projektmanagerin Anna Hartmann und Managing Director Dr. Daniel Schmelzer, ihre Lösung für ein Problem präsentierten, das viele zwar kennen, jedoch bislang niemand wirklich löste: Die unbefriedigende Nutzung und Integration von neuen, in Fortbildungen erworbenen Soft-Skills im beruflichen Alltag – durch eine App!

HR Tech macht den Wandel der Arbeitswelt heute schon möglich

All diese Beispiele zeigen: der Wandel der Arbeitswelt ist keine Zukunftspoesie. Er ist heute schon möglich und wird von immer mehr Unternehmen auf Basis neuer HR-Tools aus Start-ups aktiv angegangen. Diesen Schluss legt zumindest die positive Entwicklung nahezu aller Gewinner des HR Start-up Awards nahe. Ihre Tools machen bewusst, dass HR Tech zunächst HR und dessen Rolle in Unternehmen verändern kann. Am Ende verändern sie aber auch die Art, wie wir unsere Arbeit und das Miteinander darin organisieren. Warum? Weil sie es können. Weil sie Lösungen für existierende Probleme anbieten. Weil sie für Unternehmen letztlich auch wirtschaftliche Mehrwerte bieten. Weil ihre Bedienung einfach und die Instrumente am Ende vielleicht auch ein wenig „sexy“ sind.

Über den Autor

Michael H. Kramarsch führt als Gründer und CEO die hkp/// group – eine internationale Unternehmensberatung an der Schnittstelle von HR, Finanzen und Strategie. Seine Schwerpunkte als Berater sind Corporate Governance, die Verteilung von Wertschaffung – von Mitarbeiterbeteiligung bis zu Vorstandsvergütung – sowie strategische HR Fragestellungen im Rahmen der Digitalisierung. Michael H. Kramarsch hat den HR Start-up Award ins Leben gerufen, der 2019 zum vierten Mal auf dem Personalmanagementkongress des BPM verliehen wird. Er ist Initiator des Ethikbeirats HR Tech. Dort bringt er auch seine Erfahrungen aus der Mitgründung des European Centers for Board Efficiency sowie aus seiner Investorentätigkeit ein. In seinem Beteiligungsportfolio finden sich HR Start-ups wie Tandemploy, Talentwunder und Vote2Work. Michael H. Kramarsch ist darüber hinaus Vorsitzender des Vorstands der Vereinigung unabhängiger Vergütungsberater (VUVB) und Beirat am HHL Center for Corporate Governance, Leipzig.

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