Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelten – ein Muss für HR, sich dabei an die Spitze zu setzen

Die Digitalisierung und ihre Auswirkung auf Arbeitswelt und Menschen ist eine Herausforderung, der sich HR in den nächsten Jahren stellen muss. Matthias Meifert, Kai Anderson und Michael Kramarsch – drei führende Köpfe der HR-Management-Beratung – nennen im Interview mit FUTURE OF HR (FOHR) zentrale Handlungsfelder. 

 

FOHR: Sehr geehrte Herren, Ihre Beratungshäuser haben jeweils umfassende Studien zum Thema Digitalisierung in HR publiziert. Lassen Sie uns eingangs bitte eine kurze Bestandsaufnahmen vornehmen: Wie steht es um den aktuellen digitalen Reifegrad von HR in Unternehmen aus Ihrer Sicht?

Matthias Meifert: Wir haben festgestellt, dass HR sehr wohl um die Bedeutung der aktuellen Situation weiß, aber für den bevorstehenden Wandel selbst wenig bzw. noch in zu geringem Ausmaß gewappnet ist – und das gilt nicht nur für die technologischen Aspekte, sondern auch die organisatorischen wie auch kulturellen.

Kai Anderson: Der interne wie externe Diskurs zum Thema Digitalisierung von HR ist durch den Blick auf Teilaspekte geprägt. Während das Gros der Betroffenen in HR zuerst das Thema Technik und Technologien für die HR-Prozesse als Treiber anführt, fokussieren Top-Executives eher die entsprechenden Kompetenzen und den notwendigen Kulturwandel. Es fehlt eine verbindende Sicht auf die Veränderungen und Aufgaben im Kontext von Digitalisierung. Diese ist bislang in zu wenigen Unternehmen und erst recht HR-Abteilungen anzutreffen.

Michael H. Kramarsch: Nach unseren Analysen steckt die Digitalisierung von HR vielfach noch nicht einmal in den Kinderschuhen – und die Hauptgründe dafür sind weniger Budget-Gründe – wie man allgemein erwarten würde – als vielmehr unzureichend standardisierte Prozesse, mangelhafte digitale Kompetenzen und das Fehlen einer digitalen Kultur. Oder kurz gesagt: wenn das Haus nicht aufgeräumte ist, hilft auch der schnellste Computer nicht.

FOHR: Wodurch ist eine digitale Kultur gekennzeichnet und warum tun sich die Unternehmen damit so schwer?

Michael H. Kramarsch: Auf den Punkt gebracht, ist es eine Kultur des digitalen Könnens und Wollens: Techniken und Prozesse sowie die Kompetenzen und Fähigkeiten, um neue Technologien kundenorientiert anwenden zu können, sind notwendige Voraussetzungen dafür, sich diese neuen Technologien Stück für Stück zu erschließen. Eine digitale Kultur ist durch die hohe Vernetzung und eine damit automatisch neue Qualität der Transparenz in der Zusammenarbeit geprägt. Sie ist aber immer auch eine Kultur des Ausprobierens, der Möglichkeit, im Rahmen der digitalen Transformation Fehler zu machen – auch wenn dies am Anfang auf Kosten der Effizienz geht.

Kai Anderson: Eine digitale Kultur ist zuerst einmal geprägt von Veränderungsbereitschaft und Technologie-Affinität. Wir reden hier nicht über blinden Fortschrittsglauben, den wir häufig in den USA sehen, sondern einer Aufgeschlossenheit gegenüber Technologie und ihren Einsatzmöglichkeiten. Die gesellschaftliche Debatte und eben auch die Stimmung in vielen Unternehmen sind geprägt von Vorbehalten – man sieht zuerst die Risiken und Hindernisse. Dabei muss man sich in vielen Unternehmen nur auf die eigenen Ursprünge und Stärken rückbesinnen, um dem Ganzen einen positiven Spin zu geben.

Matthias Meifert: Eine digitale Kultur ist immer eine agile Kultur. Traditionelle, stark hierarchiegeprägte Organisationen tun sich hier häufig schwer. Sie geben sich auch eher dem Glauben hin, mit riesigen Investitionen in Technologie auf dem richtigen Weg in die digitalisierte Welt zu befinden. Der unbequeme aber notwendige Kulturwandel wird nicht selten versucht, auszublenden.

FOHR: Auf einmal wird alles und jeder agil. Was genau bedeutet Agilität im Kontext der Digitalisierung?

Matthias Meifert: So neu ist der Begriff nicht, er taucht bereits seit den 50er Jahren in der Systemtheorie von Organisationen auf. In jedem Fall wird dabei die Notwendigkeit und Fähigkeit der raschen, flexiblen Anpassung an sich verändernde Faktoren in dem näheren wie weiteren Umfeld einer Organisation verstanden. Durch die Digitalisierung und die damit verbundene Dynamisierung der Wirtschaft gewinnt die Notwendigkeit der Agilität für die Organisation wie auch das Individuum dramatisch an Bedeutung.

FOHR: Also ist Agilität nicht nur ein Modewort, das binnen kurzem wieder in der Versenkung verschwunden sein wird?

Mathias Meifert: Der Begriff der Agilität als höchste Form der Anpassungsfähigkeit wird heute im Unterschied zu früher auf die Transformation von ganzen Unternehmen bezogen. Das ist nichts kurzfristiges, sondern wird uns und die Unternehmen mit Sicherheit noch eine ganze Zeit beschäftigen – und zwar intensiv.

Kai Anderson: Wenn Sie so wollen, ist Agilität das ultimative Unternehmensziel und muss damit tief in jeder Strategie verankert sein. Jenseits von Hype ist Agilität das bestimmende Kriterium, wenn wir heute Strategien, Organisationen oder Prozesse entwickeln. Sie ist damit natürlich auch zugleich Rahmen und Voraussetzung um die Digitalisierung erfolgreich zu gestalten. Das spiegelt sich dann z.B. in der Einführung und Sicherstellung kundenorientierter Organisationsstrukturen, interaktiver Prozesslandschaften, mitarbeiterzentriertem Führungsverhalten oder agilen Personal- und Führungsinstrumenten wieder.

Ist also das Fehlen dieser Kultur der Hauptgrund für den aktuell vorherrschenden geringen Grad der Digitalisierung von HR?

Michael H. Kramarsch: Zuerst einmal danke, dass sie mich nicht nach Agilität gefragt haben: Ich halte diese für eine Selbstverständlichkeit für Unternehmen. Der Grad der Digitalisierung wird durch einige wesentlichen Treiber stark geprägt. Neben den notwendigen Investitionen in Technologien braucht es standardisierte, kundenorientierte Prozesse, die notwendigen Kompetenzen auf Mitarbeiterseite sowie die bereits diskutierte digitale Kultur.

FOHR: Der Digitalisierung wird sich niemand entziehen können. HR steht nun vor der Wahl, Treiber oder Getriebener zu sein. Wie sehen das die Teilnehmer an Ihren Studien und wie bewerten Sie diese Rückmeldungen?

Kai Anderson: Die Digitalisierung macht vor dem Personalmanagement nicht Halt, Daher sollten die relevanten Prozesse und Aufgaben identifiziert, überdacht und zukunftsfähig ausgerichtet werden. In diesem Kontext kann sich Personal neu definieren. Viele Unternehmen haben diese Situation erkannt und Aktivitäten gestartet. Die werden häufig allerdings nicht im Gesamtzusammenhang gesehen. Ein konsistentes Zielbild einer digitalen Organisation ist noch in wenigen Organisationen vorhanden.

Matthias Meifert: Ich würde sogar noch weiter gehen: HR muss sich neu definieren. Sonst tun es andere! Die Neupositionierung von Personal im Rahmen der Digitalisierung ist keine Option. Möglicherweise lähmt die Wucht dieser Erkenntnis bzw. die Größe dieser Aufgabe auch das eine oder andere Unternehmen. Die Zahl der digitalen Champions in HR ist jedenfalls noch sehr gering.

FOHR: Ist das Ihre Botschaft an HR-Manager: Nehmt die Herausforderung der Digitalisierung an, ergreift die vielfältigen Chancen und lernt, die ebenso vielfältigen Risiken zu beherrschen?

Michael H. Kramarsch: Ja, denn tut Ihr es nicht, werden andere in die aktive Rolle schlüpfen …

… und die entsprechenden Aufgaben übernehmen?

Michael H. Kramarsch: In Teilen ist dies vorstellbar, aber darum geht es nicht. Es geht vor allem um die Frage der treibenden Kräfte. HR hat seine Berechtigung im Unternehmen und muss seine Aufgaben erfüllen. HR-Abteilungen, die die Chancen der Digitalisierung nutzen, werden stärker in die Rolle des Gestalters, des strategischen Partners der Geschäftsleitung rücken können. Andere HR-Abteilungen werden eher in die Rolle des Administrators gedrängt oder dort verharren.

FOHR: Abschließend die Frage, was aus Ihrer Sicht noch nicht oder nur unzureichend im Kontext der Digitalisierung von HR aufgegriffen, aber unbedingt weiter diskutiert werden sollte?

Michael H. Kramarsch: Die Diskussion zu Digitalisierung wie auch deren Entwicklung steht erst ganz am Anfang. Wir werden Neuerungen sehen, die wir uns heute noch gar nicht so richtig vorstellen können. Aber eines bleibt als Konstante erhalten: Unternehmen werden immer als sozial-interagierende Menschen organisiert sein – in welcher digitalen Ausprägung auch immer. Ich freue mich darauf, in 2017 diese spannende Diskussion mit meinen Moderatoren-Mitstreitern lebhaft weiter führen zu können.

Kai Anderson: HR kämpft an drei Fronten: über die Digitalisierung der HR-Prozesse und Leistungen reden wir schon lange. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung des Unternehmens zu schaffen ist aktuell das große Thema für HR. Was noch viel zu wenig im Blickfeld erscheint sind die massiven Veränderungen der Personalstrukturen, die sich durch die Digitalisierung ergeben. Hier ist ein intensiver Dialog mit dem Business gefragt, um die richtigen Schlüsse zu ziehen und Maßnahmen abzuleiten. Das ist die Herausforderung für HR der nächsten Jahre.

FOHR: Vielen Dank für das Gespräch. Wir werden im Laufe der nächsten Beiträge auf Future of HR die von Ihnen genannten Punkte vertiefen.

 

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