New Pay – oder was verdienen wir in Zukunft? (2/2)

„Beim Geld hört die Freundschaft auf“, diese Binsenweisheit hört man immer dann, wenn es um Geld und persönliche Beziehungen geht. Daraus könnte man schließen, dass die Intransparenz von Gehältern dem Klima unter Kollegen zuträglich ist. Und deshalb sind die Fürsprecher für die Weiterführung der Gehaltsintransparenz auch immer schnell gefunden.

Gehaltstransparenz und der Datenschutz

So lässt sich nun die Frage anschließen: Wem oder was dient die Intransparenz von Gehältern? Was ermöglicht sie? Was verhindert sie? Fakt ist, wenn es um Gehaltstransparenz geht, sind die Widerstände oft gewaltig. Einige Kritiker führen sofort den Datenschutz an. Und ja, der Datenschutz bestimmt das persönliche Gehalt als ein personenbezogenes Datum im Sinne von § 3 Abs. 1 BDSG. Dennoch steht es Organisationen frei ihr Vergütungsmodell transparent zu machen. Der öffentliche Dienst ist hierfür ein gutes Beispiel. Denn da ist nicht nur der Tarifvertrag öffentlich zugänglich. Die Stellen werden ebenfalls vorab einer Entgeltgruppe zugeordnet und entsprechend ausgeschrieben. Was die Stelleninhaberin oder der Stelleninhaber konkret verdient, hängt dann noch von den jeweiligen Vorerfahrungen ab. Diese werden von der Personalabteilung beurteilt und dienen der Zuordnung in eine der sechs Entgeltstufen innerhalb einer Entgeltgruppe. Auf diese Weise kann jeder in Erfahrung bringen wie das Gehaltsband aussieht und wie die Stelle maximal vergütet wird.

Vom Schein des Betriebsfriedens

Ein weiteres Argument das gegen die Transparenz von Gehältern angeführt wird, ist die Sicherung des Betriebsfriedens. Denn die Diskussion über Gehälter würden zu Auseinandersetzungen führen, so die Mahner. Doch wenn das Gehaltsgefüge zum Tabu deklariert wird, bedeutet das nicht, dass keine Diskussionen darüber stattfinden. Nur geschehen diese Debatten in informellen Runden. Das Fatale dabei ist, dass diese Runden der Organisation keinen Mehrwert schaffen. Sie dienen lediglich als ein Ventil für Frustration und Unzufriedenheit.

Gehaltstransparenz – einige Beispiele

Doch es gibt mittlerweile einige Unternehmen, die umdenken und ihren eigenen Weg zu mehr Transparenz beschreiten. Wie zum Beispiel die Elobau GmbH, ein mittelständisches Unternehmen im Bereich Sensortechnik mit rund 800 Mitarbeitern. Dort entwickelte ein Team, zusammengesetzt aus einer repräsentativen Auswahl von Produktionsmitarbeitern, ein neues Entlohnungssystem. Zielsetzung dabei war es Transparenz zu schaffen, bestehende Missstände im Gehaltsgefüge auszuräumen und Gleichberechtigung speziell zwischen Männern und Frauen zu fördern.

Ähnlich transparent geht die Ministry Group, einem Verbund von Kommunikationsagenturen mit Sitz in Hamburg vor. Dort gibt es eine definierte Gehaltsformel, die verschiedene Kriterien abdeckt. Dies ermöglicht den Angestellten nachzuvollziehen, wie sich die Gehälter zusammensetzen. Das Gehalt besteht aus vier verschiedenen Komponenten. Einem Fixgehalt, einen stetig wachsenden Expertise-Anteil und zwei variablen Bestandteilen, die das individuelle Engagement zum Wohle der anderen und zum Wohle des Unternehmens anerkennen. Die Einschätzungen erfolgen jeweils durch Selbst- sowie Fremdeinschätzungen der Kollegen. Hier lässt sich gut erkennen, wie durch das Vergütungsmodell die Kultur gestaltet und gleichzeitig gespiegelt wird.

Transparenz über Gehaltsbänder bekommt überall dort noch eine ganz besondere Bedeutung, wo die Rekrutierung neuer Mitarbeiter in der Verantwortung von Teams liegt. So zum Beispiel bei den Software-Entwicklern von Qudosoft. Wie soll ein Teammitglied einschätzen, ob Bewerberin A den Zuschlag erhalten soll, wenn ihre Gehaltsvorstellung nicht bekannt ist. Gleichzeitig ist als Entscheidungsgrundlage ein Einblick in die Kennzahlen der Organisation sowie eine Einschätzung marktüblicher Gehälter notwendig.

Wigwam, eine Berliner Kommunikationsberatung ging hinsichtlich ihrer Ausrichtung der Organisation und des Vergütungsmodells noch einen Schritt weiter. Durch die Umwandlung in eine Genossenschaft, waren plötzlich alle Mitarbeitenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Personalunion. Die logische Konsequenz daraus war: Wenn alle gemeinsam wirtschaften, die wichtigsten Entscheidungen zusammentreffen und gemeinsam als Genossen finanziell die Verantwortung tragen, dann muss volle Transparenz her, was die Finanzen und die Vergütung angeht.

Der Mehrwert der Gehaltstransparenz

Der Umgang mit der Gehaltstransparenz ist kein leichter Weg. Das zeigen die sehr detaillierten und zum Teil persönlichen Beiträge der Blogparade wie beispielsweise von wigwam oder einem Berater von V&S, der sein Gehalt selbst festlegt.

Dennoch ist es ein Weg, in dessen Verlauf sich wichtige Dinge klären. Wer sich kritisch mit Bewertungskriterien und ihrer Gewichtung beschäftigt, wird sich über eigene Präferenzen und Denkmuster bewusst. Was ist gerecht? Was ist fair? Welchen Stellenwert hat die Ausbildung? Ist ein Akademiker produktiver oder wertvoller für eine Organisation als ein Praktiker und wenn ja wieso? Welche Bedeutung geben wir Vorerfahrung oder Kompetenzen im Vergleich zu Engagement und Kreativität? Werden familiäre Situationen berücksichtigt?

Die Diskussion über diese Fragen fördert die Auseinandersetzung mit Wertvorstellungen, positiven wie negativen Vorurteilen und Präferenzen. Dadurch ermöglicht sie die Aushandlung gemeinsamer Prinzipien und Spielregeln. Transparenz über Gehaltsmodelle oder Gehälter leistet überall dort einen Mehrwert, wo die Unternehmung als gemeinschaftliche Wertschöpfung betrachtet wird. Da Organisationen mehr als je zuvor sich einer dynamischen Wandlung vollziehen, müssen diese Aushandlungsprozesse wiederholt werden. Denn die organisationalen Anforderungen verändern sich kontinuierlich und die persönlichen Bewertungsmaßstäbe entwickeln sich ebenfalls weiter. Das zeigt sich in den vergangenen Jahren insbesondere in der Verschiebung der Präferenzen Erwerbstätiger vom Lohn hin zur Freizeit und Selbstbestimmung.

Zeit ist das neue Geld

Ein gutes Beispiel dafür, dass Zeit das neue Geld ist, ist der aktuelle Tarifabschluss der IG Metall. In anderen Branchen zeigte sich diese Entwicklung bereits im vergangenen Jahr. Denn die Mehrheit der Bahnmitarbeiter entschied sich 2017 für mehr Freizeit, statt mehr Geld. Der Tarifabschluss ermöglichte drei individuelle Wahlmöglichkeiten: entweder 2,6 % Lohnerhöhung, eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde oder sechs Tage zusätzlichen Urlaub. 56 % der Beschäftigten entschieden sich für die dritte Option, und das in einem Konzern mit einem großen Anteil gewerblicher Mitarbeiter.

Das Zeit das neue Geld ist, spiegelt sich außerdem in einigen Erwerbsbiografien der Autorinnen und Autoren der Blogparade New Pay wieder. Ob ehemaliger internationaler Projektleiter im Großkonzern, ehemalige Pressesprecherin einer großen Krankenkasse oder die ehemalige Führungskraft aus der Industrie, Menschen mit hohem Gestaltungsdrang verzichten heute bereitwilliger auf Gehalt um die zur Verfügung stehende Zeit in eigene Projekte zu investieren. Aber auch die Qualitätszeit mit Familie und Freunden oder ehrenamtliches Engagement spielt eine immer größere Rolle. Hier verschieben sich individuelle Ansprüche und damit gesellschaftliche Bewertungen.

Das Konzept „leistungsgerechte Gehälter“ hat ausgedient

Und genauso unterliegen die Maßstäbe und Bewertungen monetärer Anreize einem Wandel. Das Postulat leistungsgerechter Gehälter als Voraussetzung unternehmerischen Erfolgs bröckelt. Viele Unternehmen, darunter einige große, wie beispielsweise Bosch haben individuelle Boni ganz abgeschafft oder sie durch Erfolgsbeteiligungen ersetzt. Bereits in der Finanzkrise konnte beobachtet werden, welche fatalen Auswirkungen falsch gesetzt Anreize auslösen können. Die Suche nach dem heiligen Gral eines effizienten Bonussystems endet deshalb regelmäßig in einer Odyssee. Denn die Ausgestaltung der Boni wird zunehmend komplizierter, ihre Nachvollziehbarkeit hingegen zunehmend schwieriger und damit ihre Wirkungen immer unvorhersehbarer.

Erklärungen hierfür finden sich nicht nur in der Spieltheorie. Auch psychologische Experimente zeigen in unterschiedlichsten Kulturkreisen die immer gleichen Zusammenhänge: Wer extrinsisch motiviert, sabotiert die intrinsische Motivation von Menschen und konditioniert Beschäftige dazu Kennzahlen auch dann zu erfüllen, wenn es dem Gesamtsystem schadet. Gleichzeitig lassen sich wichtige Aspekte der neuen Arbeitswelt, die auf Kollaboration, Kooperation oder Ko-Kreation einzahlen, nicht in klassischen Kennzahlen festschreiben. Kommunikative Kompetenzen, Kreativität, Innovationsfreude, Empathie oder Problemlösungskompetenz, lassen sich nicht in vermeintlich objektive Messgrößen packen und schon gar nach Plan steigern.

Fazit

Unternehmen, die den Erfahrungsschatz und das Potential ihrer Beschäftigten aktivieren wollen, werden neue Lösungen für Entlohnung finden müssen. Experimente und Vorreiter, von denen man lernen kann, gibt es bereits. Eine spannende Auswahl werden wir im Laufe des Frühjahrs genauer beleuchten und in unserem Buch „New Pay – Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle“, das im Spätherbst erscheinen wird, ausführlich vorstellen.

Doch Achtung! Wer der Versuchung erliegt, Blaupausen zu suchen und diese im eigenen Unternehmen zu etablieren, wird sich damit fremde Spielregeln auferlegen. Es gilt lediglich ein gemeinsames Prinzip für alle Unternehmen gleichermaßen: wer neue Formen der Zusammenarbeit konsequent denkt und diese erfolgreich etablieren will, kommt um die gemeinschaftliche Reflexion neuer Formen der Vergütung nicht herum. Allen die sich auf diesen Weg machen, wünschen wir viel Erfolg. Außerdem wünschen wir ihnen hilfreiche Begleiterinnen und Begleiter, für die der Weg das Ziel ist statt der kostengünstige Griff in die Schublade.

 

Über die Autorin

Bild von Nadine Nobile
New Work-Enthusiastin und Mitinitiatorin der #NewPay-Blogparade im Herbst 2017.

Nadine Nobile ist Gründerin von CO:X. Sie ist bekennende New Work Enthusiastin und unterstützt Menschen in Unternehmen als Prozessbegleiterin und Coach in Veränderungsprozessen. Potentiale erkennen und Entfaltung ermöglichen, lautet dabei ihr Leitsatz. Kooperation, Kollaboration und Ko-Kreation sind für sie die Schlüssel zur Zukunft der Arbeit. Gemeinsam mit Stefanie Hornung und Sven Franke initiierte sie im vergangenen Herbst eine Blogparade zu Vergütungsmodellen im Kontext der neuen Arbeitswelt. Im Spätherbst 2018 erscheint ihr gemeinsames Buch „New Pay – Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle“ im Haufe-Verlag.

5 Kommentare

  1. Johanna Walther
    8. März 2018
    Antworten

    Seien wir doch ehrlich: Was ist beispielsweise im Zusammenhang mit der IG Metall das Zauberwort? Tarif. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen genau was der andere bekommt und ein individueller Unterschied aufgrund des Geschlechtes ist vertragstechnisch auch gar nicht erst möglich. Womit wir auch gleich bei Equal Pay wären.

    Das wird nicht nur bei den Metallern seit Jahrzehnten gelebt (wo eher weniger Frauen zu finden sein dürften), sondern vor allem auch im vermeintlich piefigen Öffentlichen Dienst. Auch hier sind Dinge von Gleitzeit bis Sabbatical längst flächendeckend etabliert (TVöD Bund, L, Kommunen usw.).

    Insofern wirkt die New Pay Debatte eher wie alter Wein in neuen Schläuchen: Arbeitgeber, die sich keine Tarife leisten können oder wollen, versuchen die Mitarbeiterzufriedenheit über andere Hebel aufzuhübschen. Ob es zufriedener macht zu wissen, dass die Kolleginnen genau so wenig verdienen wie man selbst ist dabei zweifelhaft. Deswegen ist bei aller Euphorie über den vermeintlichen Wandel der Zeiten vor allem eins feszuhalten – die überwiegende Mehrheit der Menschen arbeiten aus materiellen (= finanziellen) Gründen. Alle weiteren Faktoren sind nachrangig.

  2. Philipp
    14. März 2018
    Antworten

    Liebe Nadine,

    Danke für diesen umfassenden Artikel – ich habe viele inspirierende Gedanken und Beispiele daraus entnommen.

    Herzlicher Gruß
    Philipp

  3. bepack
    16. März 2018
    Antworten

    @julianstarck Danke Nadine Nobile!

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